#aktuell Ratsversammlung Reden

Gendern ist sexistisch

Bild von Ferry Paur auf Wikimedia Commons (Lizenz)

gehalten in der heutigen Ratsversammlung zu Tagesordnungspunkt 14.5 (es gilt das gesprochene Wort)

Ich muss einen kleinen Urheberrechtshinweis vorausschicken: Anregungen für meinen Wortbeitrag verdanke ich unter anderem der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Schriftsteller Nele Pollatschek.

Liebe Kollegen! Als deutsche Zeitschriften grammatisch und semantisch sehr fragwürdig anfingen, statt von Schauspielern von Schauspielern und Schauspielerinnen, Schauspielenden, Schauspieler-Binnen-I-innen, Schauspieler-Unterstrich-innen und Schauspieler-Sternchen-innen zu schreiben, beschloss der Guardian – das ist in Großbritannien die Zeitung der progressiven und feministischen Linken – nur noch das Wort „actor“ zuzulassen und „actress“ zu streichen. Im englischen Sprachraum wundert man sich allgemein, warum deutsche Feministen gar nichts gegen diesen Sexismus in der Sprache machen. Es sei doch sexistisch, wenn das Wort für weibliche Handelnde ein anderes ist als für männliche. Wenn die Sichtbarmachung von Minderheiten unser Ziel ist – wobei Frauen ja nicht mal eine Minderheit sind -, und die Standardvorstellung die von männlich, weiß, hetero und christlich ist, warum gibt es dann kein Morphem für schwarz, schwul oder jüdisch?

Ganz einfach deswegen, weil das rassistisch, homofeindlich und antisemitisch wäre. Und wenn es falsch ist, ständig Religion, Hautfarbe, Orientierung oder auch Gewicht oder Behinderung sichtbar zu machen, warum wäre es dann richtig, die Weiblichkeit als Morphem immer wieder sichtbar zu machen? Die Besessenheit von Genitalien durchs Gendern ist sexistisch, antiquiert und kein bisschen inklusiv.

[Zwischenapplaus der AfD]
Ich möchte den Kollegen kurz erklären: Gleichberechtigung ist eine schöne feministische Angelegenheit. Ich freue mich, wenn Sie, die Sie gerade applaudiert haben, sich jetzt spontan hinter dieses Anliegen stellen. Vielleicht folgt Ihre Bundespartei Ihnen ja.
[…]

Der englische Gedanke ist der: Der Weg zur Gleichheit ist Gleichheit. Wenn Menschen gleich sind, dann sollte man sie gleich behandeln, auch sprachlich. Jede sprachliche Sichtbarmachung, die das Geschlecht hervorhebt, weist auf Unterschiede hin, betont, dass eben dieses Geschlecht so wichtig ist, dass es in jeder Lebenslage erwähnt werden muss und zementiert damit Ungleichheit.

Die englische Lösung für das Problem mit dem Begriff „Prime Minister“ war nicht, eine weibliche Form dafür einzuführen, sondern 1979 eine Frau zu wählen. Analog: Hätte Deutschland so gehandelt, gäbe es heute Jugendliche, für die das Wort „Bundeskanzler“ in erster Assoziation ein weibliches wäre. Ältere erinnern sich, dass wir das Problem anders gelöst haben: Verheiratete weibliche Menschen werden als „Frau“ bezeichnet, mittlerweile nicht mehr als „Fräulein“. Wir haben eben die Bedeutungsebene „verheiratet“ von dem Wort „Frau“ einfach getrennt.

Wenn ich mich also heute irgendwo als Stadtrat vorstelle und entschieden korrigiert wird, dass ich Stadträtin sei, dann fällt mir immer wieder ein: In Deutschland bin ich nicht Mensch, in Deutschland bin ich Frau.

Dankeschön.


Antrag VII-A-07658 „Endlich Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache durchsetzten! Oder ist der Oberbürgermeister nur für Männer da?“ (Einreicher: Thomas Kumbernuß)

Protokoll der Ratsversammlung (Seite 25)

Über

Leipzigerin aus Leidenschaft. Verliebt in die Stadt. Mutter eines Zirkuskaters. Kennt die beste Eisdiele der Stadt.