Wie zu jeder Wahl, zu der ich nicht selbst als Kandidat auf dem Wahlzettel stehe, bin ich heute wieder Wahlhelfer der Stadt Lepzig gewesen. Meist bin ich Wahlvorstand eines Wahllokals. Die ersten Jahre hatte ich ein festes Wahllokal nebst Team, mittlerweile lasse ich mich im weiteren Umkreis um meinen Stadtteil überall da einsetzen, wo es noch an Helfern fehlt. Damit auch die Wähler mal einen Einblick bekommen, was die Wahlhelfer eigentlich so an einem Wahltag tun, habe ich heute auf Twitter darüber geschrieben.


Guten Morgen Leipzig, heute sind 404 Wahlvorstände seit etwa sechs Uhr wach, um Deine Wahlen korrekt, unparteiisch und nach den Buchstaben des Grund- und Wahlgesetzes durchzuführen.

Wie läuft das ab? Kleiner Thread zum Wahltag der #ltwsn19


06 Uhr
Lily steht auf und neben sich. Naja, was soll’s. Eigene Vorbereitungen aus den letzten Jahren zur Hand nehmen, auf dem Klo letzte Anmerkungen in die Schulungsunterlagen pinseln, Handy checken, ob ein Wahlhelfer doch krank gemeldet ist. Dann los.


07 Uhr
Nach einem lockeren Zwei-Kilometer-Morgenspaziergang (an einem Sonntag ist die LVB genauso wie der ÖPNV auf dem Dorfe) zum eingeteilten Wahllokal: mit dem Hausmeister diskutieren, ob die zwei Wahlplakate der Linkspartei abgehängt gehören oder nicht. Ich meine: Ja.


07:05 Uhr
Nach einer fruchtlosen Debatte: Fotos der Situation machen, später Protokoll anfertigen. Nur für alle Fälle.
Dann: Unterlagen auspacken, checken, auf die Tische sortieren, Kulis in die Wahlkabine schrauben. Musterwahlzettel malen und aufhängen.


07:15 Uhr
Der erste Wahlhelfer trifft ein, obwohl ich 07:30 Uhr sagte (alles andere nervt und führt nur zu unnötigen Wartezeiten).
Fenster auf, lüften, gucken, wie man später den Wahlraum verschattet kriegt. Sich freuen, daß die Stühle hoch genug für Erwachsene sind.


07:30 Uhr
Die restliche Teamhälfte trifft ein. Als netter Wahlvorstand habe ich schon vorher telefonisch Schichten eingeteilt, so daß keiner unnötig aus dem Bett fallen muß.
Es sind erfahrene Wahlhelfer, d.h. ab hier kriege ich gesagt, was ich zu tun und zu lassen habe 🙄


07:45 Uhr
Der Musterstimmzettel findet sich an. (Immer in ALLE Umschläge gucken, Lily! Auch in die, die leer aussehen!)
Wir sind jetzt das einzige Wahllokal mit zwei Musterzetteln: einem offiziellen und einem liebevoll mundgeklöppelten.


07:50 Uhr
Debatte darüber, wer wo sitzt. Ich ziehe um. Scheine als Wahlvorstand überflüssig. Als erfahrener Wahlvorstand, weißt Du, wann Du verloren hast.


07:55 Uhr
Uhrenvergleich. Debatte darüber, ob die Wahlgrundlagen (Wahlgesetz, Amtliche Bekanntmachungen) ausliegen müssen und wer das liest. Setze mich durch.


07:57 Uhr
Ommas mit Stock (das weibliche Äquivalent zu Oppa mit Hut) treffen ein, rennen ins falsche Wahllokal, schlagen dann bei mir auf. Maulen, daß wir noch nicht die Wahl eröffnet haben, wollen Blumenstrauß (*).

(*) Praxis wurde am 03.10.1990 abgeschafft.


07:59 Uhr
Omma mit Stock wird von einer sportlich aussehenden Frau überholt, die dringend wählen will. Mault, daß wir Wahl noch nicht eröffnet haben. Nötigt uns, die Unterlagen „wenigstens schon mal vorzubereiten“, da sie noch Wettkampf hat. Briefwahlpraxis offenbar unbekannt.


08 Uhr
Mögen die Spiele beginnen! Hektik bricht aus.
Als diensthabender Leiter der Nachmittagsschicht bist Du jetzt genauso überflüssig wie ein Kropf – bis 13 Uhr.


12 Uhr
Getränke schultern, Bemmenbüchse packen (wir sind schließlich in Sachsen!), feststellen, daß die Straßenbahn immer noch nicht bedeutend öfter fährt. Wachwechsel um 13 Uhr.


12:45 Uhr
Ich treffe zum Schichtbeginn im Wahllokal ein. Es gibt Kuchen. Eine Praxis, die gottseidank nicht am 03.10.1990 abgeschafft wurde.


13:14 Uhr
Eine Wählerin will nur mal nachfragen, ob ihr Nachbar schon wählen war. Dem wär ja die Frau gestorben und da müsse man jetzt immer mal gucken.
Während sie spricht, versucht sie, auf dem Kopf lesend einen Blick ins Wählerverzeichnis zu werfen.


13:40 Uhr
Die Tische wackeln. Sie wackeln immer. In JEDER Schule. Zu JEDER Wahl. Ganz egal.

Bin sicher, das steht auch so im Wahlgesetz, da machste nix 🤷‍♀️


14:21 Uhr
Die Stasi schaut mal wieder vorbei. Ob denn schon viele ausm Haus wählen waren. *linst ins Wählerverzeichnis*

Diese offensichtliche Dreistigkeit gepaart mit fehlendem Unrechtsbewußtsein schafft mich.


15:16 Uhr
Das Wahllokal liegt im Bibliotheksraum der Grundschule. Uns ist langweilig, wir stöbern rum.

Bester Fund: „Unser Ben hat Krampfanfälle“.

Ich komme vor Lachen ne Weile nicht weiter.


17:09 Uhr
Im Schulklo fehlt das Klopapier. Komplett.

Ah ja.


Die Auszählung geht flott, weil diesmal alle Wahlhelfer
a) lesen
B) schreiben und
c) rechnen können.

Enorm hilfreich.


Das Taxi ist da. Wir diskutieren zwanzig Minuten, ob es mich und einen der anderen Wahlleiter, die schon fertig sind, mitnehmen darf, wo es doch eigentlich genau jene Wahlleiter mitnehmen soll, die noch nicht zu Ende gezählt haben.


Next stop: Rathaus. Es wird mal wieder demonstriert.

Im Keller beim Wahlamt hingegen herrscht geordnetes Chaos. Man sieht sich, man kennt sich – sind ja doch immer dieselben, die bei der Demokratie mitmachen.


Endlich ist alles abgegeben, verzählt hat sich auch keiner, eventuelle Fehler liegen im Nanobereich.

Dankenswerterweise dürfen Wahlvorstände das Taxi anschließend noch für die Heimfahrt nehmen.

An diesem Wahlabend fast angenehm früh daheim – 15 Stunden im Dienste der Wähler.

Über

Leipzigerin aus Leidenschaft. Verliebt in die Stadt. Mutter eines Zirkuskaters. Kennt die beste Eisdiele der Stadt.