Stadtpolitik

Warum haben eigentlich so viele Menschen Angst vor Politik?

Es geschah im Wahlkampf letztes Frühjahr nicht wenig, daß wir gern mit unserem Infostand auch auf das ein oder andere Straßenfest gegangen wären. Jeder unserer Kandidaten ist in einem Stadtteil fest verwurzelt, wie gehen privat zu solchen Festen, wir engagieren uns in unseren Stadtteilen oder auch für die gesamte Stadt – warum also sollten wir dann nicht auch als Partei, die etwas für diese Stadt erreichen möchte, auf eben diesen Stadtteilfesten zugegen sein?
Da wir ja nicht unhöflich sind, sind wir natürlich nicht einfach mit unserem Infostand losgezogen, sondern haben vorher gefragt. Die Antwort blieb immer dieselbe: Parteien bitte draußenbleiben!

Mich persönlich hat das immer sehr gewundert, und es wundert mich auch jetzt noch, genauso wie es mich ziemlich verärgert. Ich sehe nicht den Unterschied zwischen einem Verein, der sich für ein bestimmtes Ziel engagiert und einer Partei, die sich ebenfalls für bestimmte Ziele engagiert. Angenommen, die Piraten würden jetzt speziell für eine fahrradfreundliche Politik streiten – was unterschiede uns vom ADFC? Angenommen, wir würden Leipzig unbedingt zu einer baumstarken Stadt machen wollen – was unterschiede uns vom Ökolöwen?

Vielfach wurde uns dann gesagt, daß wir als Partei ja schon willkommen wären, aber man müsse dann ja auch jegliche andere Partei zulassen, und die NPD wolle man nun wirklich nicht. Das ist aus meiner juristischen Sicht nicht korrekt, da jeder Veranstalter natürlich ein Hausrecht hat. Wen man bei seiner eigenen Veranstaltung zulassen muß und kann, bestimmt man immer noch selbst. (Was dieses Bestreben betrifft, rechte Parteien aus dem öffentlichen Leben raus zu halten, und wie das auch anderen Parteien schadet, dazu in einem anderen Blogbeitrag mehr.)

Anderer Schauplatz: ich werde gebeten, eine Stellungnahme für einen Blogbeitrag zu schreiben, solle aber auf Wunsch des Blogger „nicht so politisch“ schreiben. Wie zur Hölle schreibt man eigentlich „nicht so politisch“? Und auch: ich werde ja um eine Stellungnahme gebeten, weil ich Politikerin bin. Warum sonst sollte man mich fragen? Weil ich so nett lächle?

Nächstes Beispiel: ich habe mir ein kleines Werbebudget eingeplant und möchte das gern an Projekte verteilen, die mir auch persönlich am Herzen liegen und die ich selbst in Anspruch nehme. Prompt bekomme ich eine Absage, da man sich – ähnlich wie bereits die Stadtteilfeste – dazu entschieden habe, Werbung politischer Art nicht zuzulassen.

Liebe Leute: wie soll es möglich sein, die politischen Entscheidungen zu beeinflussen, wenn man sich gar nicht auf Politik einläßt? Erwarten Stadtteilvereine und Initiativen, daß man von ihren Festen wegbleibt, aber gleichzeitig immer ein offenes Ohr hat, wenn sie ein Problem haben? Dann nämlich wird sehr schnell nach den Stadträten gerufen, wenn irgendwo der Busch brennt. Dann hagelt es Einladungen zu Vor-Ort-Terminen und runden Tischen. Dann landen in meinem E-Mail-Postfach Dutzende Protestmails und offene Briefe.
Wie soll es möglich sein, daß sich Politiker transparenter zeigen und mehr Kontakt zur Bevölkerung suchen, wenn sie keine Anzeigen schalten können, um auf ihre Arbeit hinzuweisen? Wie soll ich meine Vorstellungen und Ideen allen Leipzigern zeigen, wenn ich eben diese Leipziger gar nicht erreiche? Oder andersrum: wie sollen die Leipziger erfahren, daß es mich gibt und daß man mich ansprechen kann?

Natürlich verstehe ich es, wenn Menschen Angst haben, sich zu sehr mit einer bestimmten politischen Richtung einzulassen, aus Angst andere Richtungen zu verschrecken. Ich verstehe auch, wenn man auf seinen eigenen Veranstaltungen keine rechtslastigen Gäste haben möchte. Ich verstehe ebenfalls, wenn man sich als keiner Parteirichtung zugehörig betrachtet, man auch nicht in einen Topf mit einer bestimmten Partei geworfen werden möchte.

Dennoch: diese Art zu handeln, führt dazu, daß sich Leute immer weniger dessen bewußt sind, daß ihr ganzes Leben von politischen Entscheidungen (kleinen und großen) bestimmt ist. Daß unser ganzes Zusammenleben auf politischen Gedanken beruht. Daß wir alle jeden Tag mit Politik konfrontiert sind, selbst wenn wir absolut nichts mit Parteien zu tun haben.
Der Versuch, Politik aus dem vermeintlich „normalen“ Leben auszuklammern, endet darin, daß die Menschen der Politik immer mehr entfremdet werden. Sie bekommen den Eindruck, daß es möglich wäre, ein Leben ohne Politik zu führen.

Alle, die Politik ablehnen oder damit nichts zu tun haben wollen, müssen sich auch fragen lassen, wie sie sich eine Gesellschaft vorstellen. Wie sollen denn Entscheidungen getroffen werden, wenn nicht durch politische Zusammenhänge oder politisches Zusammenwirken? Wer soll ihre Forderungen erfüllen, wenn nicht die gewählten Politiker in den Parlamenten?
Es ist schön sich in einem Verein zu engagieren, aber dieser sitzt nicht im Stadtrat. Im Stadtrat sitzen wir Leipzig-Politiker, die diese Arbeit in ihrer Freizeit machen. Wir sind nicht besser oder schlechter gestellt als jeder andere Leipziger auch.

Geht hin zu den Politikern eures Wahlkreises und stellt Forderungen. Aber hört ihnen auch zu, wenn sie Wünsche oder Bitten haben, und wenn ihr ihnen helfen könntet. Wir vertrauen jedem, der bei AirBnB sein Zimmerchen in Berlin vermietet, mehr, als unseren Leipziger Mitmenschen, die im Mai 2014 auf dem Wahlzettel standen. Das muß aufhören. Stattdessen müssen wir anfangen, uns auf Augenhöhe zu begegnen, ohne daß Politiker die Bürger als lästig betrachten und ohne daß die Bürger verächtlich auf „die da oben“ gucken.

So, und bei wem kann ich jetzt ne Anzeige schalten?

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