Stadtpolitik

Sollen Leipziger Rentner obdachlos werden?

Kürzlich bekam ich von den Betreibern der Senioren-Wohnanlage Amalie in Paunsdorf eine E-Mail:

Sehr geehrte Damen und Herren,

in Auftrag der Bewohnen und Angehörigen der Amalie Wohnanlage in Leipzig Paunsdorf, übersenden wir Ihnen ein Brief an den Oberbürgermeister Burkhard Jung ( welcher heute an die Stadt übergeben wurde) und die Stadträte der Stadt Leipzig, mit der bitte um ihre Hilfe.

Die Bewohner und wir wünschen uns, dass eine Lösung gefunden wird, die den Verbleib der 140 Senioren in Ihren Wohnungen ermöglicht.

Des weiteren übersenden wir Ihnen einen kleinen Auszug aus der Petition, die wir nächste Woche an die Stadt übergeben werden, vorab zur Information.

Der angesprochene Brief im Wortlaut.

Wer die Hintergründe der Sache noch nicht kennt, wird in Medienberichten vom 12.03., 13.03. und 14.03.2015 sowie in der sehr ausführlichen Stellungnahme der Stadtverwaltung fündig.

Da ich einmal in Schwung war, habe ich den Verfassern der E-Mail (nicht denen des Briefes) natürlich geantwortet:

Sehr geehrter Herr ***,

ich muss zugeben, dass ich doch ein wenig beeindruckt von Ihrer Chuzpe bin, sich in Ihrer Lage an mich bzw. uns als Stadträte zu wenden.

Zuerst einmal möchte ich Ihnen mitteilen, dass es mir sehr missfällt, dass Sie in Ihrer Mail nicht einmal darauf hinweisen, dass Sie – ausweislich des Zeitungsartikels aus der Leipziger Volkszeitung vom 27.01.2015 – zu den Betreibern der Amalie-Wohnanlage in Leipzig-Paunsdorf gehören. Schließlich sind Sie ja kein betroffener Bürger, sondern es stehen auch handfeste wirtschaftliche Interessen hinter Ihrem Engagement. Da gehört es nach meinem Verständnis zu den Grundzügen der Transparenz, dass man dies auch offen legt.

Gern möchte ich aber die Gelegenheit nutzen, mich zu Ihrem Anliegen zu positionieren:
wie ich erfahren habe, wissen Sie spätestens seit etwa einem Jahr, dass die von Ihnen betriebene Anlage keinerlei baurechtliche Genehmigung besitzt. Sollte es zutreffen, dass Ihnen das bis zu dem Zeitpunkt durch den Vorbesitzer nicht bekannt war, ist dies zwar bedauerlich, spielt aber für die Beurteilung der jetzigen Sachlage aus meiner Sicht keine Rolle. (Analog zu dem Fall, dass man beispielsweise auch an gestohlenen Gut kein Eigentum erwerben kann, wo man als gutgläubiger Käufer dann eben auch auf dem Schaden sitzen bleibt.)
Das heißt es, Sie hatten also auch sehr lange Zeit, den Bewohnern die rechtliche Lage mitzuteilen und einen geordneten Rückzug anzutreten. Außerdem stand es Ihnen jederzeit frei, einen Antrag auf Änderung des Bebauungsplans zu stellen. Beide Handlungsoptionen haben Sie nicht genutzt.

Besonders verwerflich finde ich, dass Sie die von Ihnen jetzt als emotionale Waffe instrumentalisierten Bewohner über die gesamte Zeit im Unklaren darüber gelassen haben, dass Sie keine baurechtliche Genehmigung für Ihre Unternehmung besitzen. Auch, dass Sie – obwohl mittlerweile Gerichtsurteile gegen sie ergangen sind – fortgesetzt Mietverträge abschließen, zeugt für mich von einem nicht vorhandenen Unrechtsbewusstsein. Wäre ich Jurist, käme mir spontan der Begriff Täuschung in den Kopf.

Als Enkeltochter einer Großmutter, die ebenfalls lange Jahre in einem Pflegeheim verbracht hat, finde ich Ihr Verhalten gegenüber den Ihnen anvertrauten Bewohnern besonders ekelerregend. Sie erwarten von uns als Stadtrat, Ihre illegalen Aktivitäten im Nachhinein zu legalisieren, damit Sie weiterhin einen wirtschaftlichen Profit aus Ihren Unternehmungen ziehen können. Wir sind uns ja sicherlich beide im Klaren, dass Sie dies nicht aus Nächstenliebe tun, sondern – wie jeder andere Geschäftsmann auch – um Geld zu verdienen und Gewinn zu erzielen. Dies ist keine Schande, man sollte dann allerdings auch nicht so tun, als ob man ein sehr großes soziales Gewissen hätte, wenn dieses nicht vorhandene soziale Gewissen einen noch nicht einmal rät, die Ihnen anvertrauten Senioren als Partner auf Augenhöhe zu behandeln und über die gesamte juristische Lage in Kenntnis zu setzen.

Besonders dreist finde ich, dass Sie Ihr Mitwirken und Verschulden an der Sachlage jederzeit gern verschweigen, während Sie die Stadtverwaltung und den Stadtrat, welche mit der Sachlage gerade nicht das Geringste zu tun haben, öffentlich an den Pranger stellen.

Sie habe nun bereits auch vor Gericht bescheinigt bekommen, dass Sie sich im Unrecht befinden. Ich frage mich: wie deutlich wollen sie es noch gesagt haben?

Soweit ich verstanden habe, lässt der aktuelle Bebauungsplan auch zu, in unmittelbarer Nähe Ihrer Einrichtung beispielsweise eine Chemiefabrik zu errichten. Allein diese Tatsache sollte Sie doch veranlassen, einzusehen, dass ein Gewerbegebiet schlechterdings kein Standort für ein Seniorenwohnheim sein kann. Sicher werden Sie auch die nicht abreißende Debatte um das Flüchtlingsheim mitbekommen haben, welches sich ebenfalls in einem Gewerbegebiet befindet, und nur deswegen dort betrieben werden kann, weil es Bestandsschutz genießt. Aber auch hier sind wir bemüht, auf längere Sicht eine Änderung herbeizuführen und eben nicht mehr Menschen in einem Gewerbegebiet wohnen zu lassen. Zugegeben wäre ich sehr gespannt, wie sich besagte Chemiefabrik auf Ihre Unternehmung auswirken würde.

Herr ***, lassen Sie mich Ihnen nochmals mitteilen, wie dreist ich Ihr Verhalten gegenüber den Bewohnern finde. Möglicherweise finden Sie ja in den nächsten Wochen noch mal einen ruhigen Moment der inneren Einkehr und gehen in sich, um zu erforschen, ob Sie sich auf dem richtigen Weg befinden.

Mit besten Grüßen
Ute Elisabeth Gabelmann

So, jetzt is mir wohler 🙂

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Leipzigerin aus Leidenschaft. Verliebt in die Stadt. Mutter eines Zirkuskaters. Kennt die beste Eisdiele der Stadt.

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