Weltlage

Die Crux mit Google StreetView

Nicht nur Leipzig, sondern auch noch 19 weitere deutsche Städte werden noch in diesem Jahr auch in den recht zweifelhaften Genuß kommen, per virtuellem, interaktivem 3D-Kartendienst online er“fahr“bar zu sein. Das Ganze ist mal wieder ein Angebot unseres allseits beliebten und nicht gerade für seine restriktive Datenschutzpolitik bekannten Google-Konzerns.

Getreu meinem Motto „Google is evil“ habe ich mich im Zuge der heißen und heiklen Debatte der letzten Tage sowohl mit Gegnern als auch Befürwortern auseinandergesetzt – hauptsächlich durch Fragen und durch lesenden Konsum der diversen Argumente.

Besonders überrascht hat mich die fast vorbehaltlose Akzeptanz des Google-Dienstes durch meine Partei, die Piraten, welche sich doch sonst gerade in Fragen der informationellen Selbstbestimmung durch besonders hohe Maßstäbe ausgezeichnet haben.

So einfach ist es nun wiederum in diesem Falle nicht, da StreetView in seiner simplen Komplexität (jaja, denkt mal drüber nach!) mehr Themenbereiche berührt, als es auf den ersten Blick augenfällig wird. Sicher, die Gegner argumentieren sehr richtig, daß Daten (und auch Hausansichten lassen sich darunter subsummieren) zu schützen sind. Zudem sind hier auch möglicherweise (das wäre zumindest sorgfältig zu prüfen) Fragen des Urheberrechts berührt, da auch ein Haus(entwurf) ein geistiges Eigentum sein kann. Auf der anderen Seite gibt es die seit dem 19. Jahrhundert festgeschriebene Panoramafreiheit, die es u.a. Millionen von Touristen in Deutschland garantiert, folgenlos Urlaubsaufnahmen anzufertigen. Zudem – auch das ist ganz korrekt – ist es schon heute theoretisch jedem Menschen auf der Welt möglich, mein Haus genauso zu betrachten, wie es auch durch Googles Kamera sichtbar ist.

Was aber tat Google in der ganzen Debatte? Es aussitzen. Erst ganz zum Schluß, nachdem man die Neuigkeit fast überstürzt lanciert hatte, erklärte man sich bereit, entsprechende Widersprüche von Hausbesitzern und Mietern entgegenzunehmen.

Auch wenn ich inzwischen den StreetView-Befürwortern in großen Teilen recht geben muß und möchte, bleiben in einigen Punkten jedoch ernsthafte Bedenken, die meine „Google is evil“-Theorie weiterhin stützen:

  • Zum ersten: die bereits erwähnte Panoramafreiheit besagt, daß alle entsprechenden Aufnahmen ohne Hilfsmittel angefertigt sein müssen, d.h. es dürfen keine Leitern, Teleskope oder ähnliches verwendet werden, um einen besseren/schöneren/ungewöhnlicheren/tieferen (Ein)-Blick zu erhalten. Hier hat also Google mit seinen Kameraautos mit Stativaufbauten recht eindeutig laufend Verstöße gegen das gesetzlich verbriefte Recht begangen. Es schaute über Zäune und Hecken, blinzelte in Einfahrten und über Tore und spähte auch unzugängliche, schummrige Winkel präzise aus. Will heißen: was ein 1,90m großer Fotograf ohne Hilfsmittel nicht hinbekäme, war für Googles exakt ausgerichteten Kamera-Stativ-Wagen kein Problem.
  • Zum zweiten: sicher bildet Google nur eine Momentaufnahme ab, die schon in einem halben Jahr veraltet sein kann. Trotzdem zeigen die Aufnahmen keine menschenleeren Straßen und Plätze, sondern Straßen- und Stadtleben, wie es einem täglich begegnet. Das bedeutet auch, daß Menschen sichtbar sind – ob sie es wollen oder nicht. Auf einem flüchtigen Touristenfoto für das heimische Urlaubsalbum ist das kein Problem, permanent im größten Wissensspeicher der Welt, dem Internet, schon. Erst recht, wenn Google – wie schon in anderen Länderversionen von StreetView – recht nachlässig mit dem Verpixeln war und zudem dem Betroffenen ja vielleicht noch nicht mal bekannt ist, daß er prominent den Google-Dienst ziert. Wie soll man also einer Abbildung von sich widersprechen, von der man nichts weiß?
  • Zum dritten: es wird oft angeführt, daß Google schließlich nichts anbietet, was nicht ohnehin schon bei den einen oder anderen Firmen oder an diversen Stellen im WWW existiert. Das ist soweit richtig, jedoch ist kaum ein anderer Konzern so derart punktgenau in der Lage, die Aufnahmen mit Informationen unterschiedlichster Art, aber immer erstklassiger Güte zu verknüpfen und so ein erschreckend genaues Portrait fast jedes Bewohners der StreetView-Städte zu zeichnen. Hierbei geht es nicht nur um Namen und Adressen, sondern auch um Vorlieben, Interessen, Kontakte und etliches mehr, das Google bereits durch seine anderen Dienste von uns kennt. Besonders schwer wiegt hier auch die Tatsache, daß Google (ob nun absichtlich oder unabsichtlich) mit den Kamera-Aufnahmen auch gleichzeitig Kommunikationsdaten und fragmentarische Inhalte der Kommunikation in offenen W-Lans mitschnitt (und seitdem auch nicht rausgibt), so daß also zahlungskräftige Interessenten noch eine Dimension mehr von uns allen kennen. Genau diese Meldungen erreichen uns gerade von Google Südkorea.
  • Zu vierten: um nicht in Googles großen Speicherstädten zu erscheinen, muß man dem Konzern, der Datenschutz als ein notwendiges deutsches Übel betrachtet, gleich wieder Daten über sich preisgeben. Auch sperrt sich Google nach Presseberichten gegen eine Kontrolle, ob die Widersprüche tatsächlich korrekt bearbeitet werden und packt stattdessen die Keule einer indirekten Drohung aus. Zusammen mit der überhasteten Einführung vom deutschen StreetView macht der Konzern damit eine nicht gerade vertrauenswürdige Figur. Auch bleibt die Frage offen, ob Google nicht mit dem spektakulären Deutschland-Start verschleiern will, daß es gleichzeitig durch die Hintertür versucht, die Netzneutralität auszuhebeln.
  • Zum fünften: sicher zeigen die StreetView-Aufnahmen nur das, was wir im öffentlichen Raum von uns sowieso jeden Tag präsentieren. Der feine Unterschied: mein Gebaren auf der Straße sehen immer nur die Leute, die zu diesem Zeitpunkt auch mit mir an diesem Ort waren und mich darüber hinaus auch wahrgenommen haben – mithin also nur ein Bruchteil der Betrachter, die mich unter Umständen jetzt permanent beim nachdenklichen Nasebohren bewundern. Es spielt also schon eine Rolle, ob man für geschätzte zehn Sekunden von zwei Menschen dabei wahrgenommen wird und nach spätestens fünf Minuten wieder vergessen oder ob man ungeahnterweise schon längst Gegenstand der Debatte einer Witzgruppe auf Facebook ist.

Dies alles sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die, die jetzt am lautesten schreien, hastig ihre Häuser verpixeln lassen und Google per Gesetzentwurf die Pest an den Hals wünschen, genau dieselben sind, die unsere Bankdaten an die USA ausliefern, unsere Arbeitsverhältnisse unter die Lupe nehmen, uns wie Verbrechern die Fingerabdrücke abnehmen, wissen wollen, wer wir sind und was wir tun, die Details unserer letzten Geschlechtskrankheit zentral abrufbar machen wollen und jetzt auch noch unsere E-Mails mitlesen.

Trau, schau, wem.

Über

Leipzigerin aus Leidenschaft. Verliebt in die Stadt. Mutter eines Zirkuskaters. Kennt die beste Eisdiele der Stadt.