Piraten intern

Die Piraten und die katholische Kirche oder: Quo vadis pirata? in Bingen

Mit der Piratenpartei kann es einem gelegentlich gehen wie mit der katholischen Kirche: die Idee dahinter ist ganz gut, die Umsetzung jedoch mangelhaft, das Bodenpersonal miserabel und der Rückhalt in der Bevölkerung quasi nicht vorhanden.

So stellt sich der Zustand der Partei kurz vor ihrem bisher größten Parteitag in Bingen dar. Wenn es jedoch weitergeht wie bisher, dürfte das wohl die letzte parteiinterne Veranstaltung diese Größenordnung gewesen sein, wenn man von einem Freibier-Grillfest im Berliner Tiergarten oder einem Paintball-Happening mal absieht.

Hoffnungsfroh gestartet stehen sich seit den großen Erfolgen 2009 in fast allen Fragen zwei Lager gegenüber, die es nicht schaffen, Brücken zu bauen, Kompromisse zu schließen, das Beste aus beidem zu vereinen:

diejenigen, die nur die Kernthemen verfolgen wollen, streiten mit jenen, die eine Voll-Partei wünschen. Die, die Strukturen erreichten wollen, kämpfen mit den Freigeistern, die eine chaotische Ordnung vorziehen. Die, denen vor allem der Inhalt wichtig ist, ringen mit Marketing-Affinen, die der Piratenpartei ein Marken-Image gönnen wollen.

Wieder mal zeigt sich, daß die Partei nicht einfach nur zu schnell gewachsen ist, sondern viel mehr gar nicht wuchs, sondern einfach nur groß wurde. Es biete sich dem Betrachter ein jämmerliches Bild, was nur noch durch den Eindruck übertroffen wird, welchen man als aktives Parteimitglied bekommt.

Das größte Problem, was die Piraten derzeit haben, ist nicht das NRW-Wahlergebnis in einer Höhe, die offenbar für die meisten Piraten überraschend kam, sondern die gnadenlose Arroganz und gleichzeitige Dummheit und/oder Ignoranz, mit der weiter ein bereits drei Jahre alter und damit hoffnungslos veralteter Kurs gehalten wird.

Aber auch sonst wird parteiintern konsequent das vernachlässigt, was eigentlich gepflegt gehört: der Mensch – sei es in seiner Eigenschaft als Parteifunktionär, Parteimitglied, potentielles Neumitglied, Wähler oder politischer Gegner.

Soweit mein Einblick reicht, gibt es weder in den kleinsten Gliederungen noch auf Bundesebene amtierendes Personal, was in der Lage ist, tatsächlich zu führen – im besten Sinne der Wortes.

Es mangelt nicht nur oftmals an den Grundkompetenzen wie Kommunikationsfähigkeit, Frustrationstoleranz und einem Händchen für den Umgang mit Menschen sondern auch an medialer Begabung, Organisationstalent und dem Mut zu unpopulären Entscheidungen.

Umgekehrt ist die Parteibasis gerade in Personalfragen eine quasi unberechenbare amorphe Masse: da werden nicht Leute gewählt, die Kompetenz mitbringen, sich auch außerhalb der Politik schon in anderen Projekten erfolgreich einbringen konnten, nicht jene, die über die in heutiger Zeit so vielgepriesenen und tatsächlich unverzichtbaren „soft skills“ verfügen, sondern die Piraten, die in T-Shirt und unrasiert zu einem Parteitag erscheinen, der mutmaßlich nicht nur von Parteigängern, sondern auch von der bildgebenden Presse besucht wird. Wahlen werden nicht nach der Frage entscheiden, welche Personen in der Lage sind, Positionen nach außen zu vertreten und potentielle Wähler und Neu-Mitglieder anzuziehen, sondern danach, wer am nettesten ist und wer immer ganz brav ein paar Flyer in die Briefkästen gesteckt hat.

So schnell, wie jemand ein Amt gewinnt, so schnell wird er es bei der nächsten Wahl auch schon wieder los, denn niemand bleibt anhaltend populär in dieser wetterwendischen Partei. Da keiner nach Können gewählt wird, bleibt also Sympathie die einzig wählbare Größe. Andersrum hingegen werden gern Leute gedisst, die zwar objektiv durchaus der Partei von Vorteil sei könnten, da sie Know-How einbringen, die sich aber ganz nach den demokratischen Prinzipien eine eigene Meinung leisten, die von den Piraten nicht geteilt wird.

In so einem Fall vergessen viele Parteimitglieder gern die Konzepte Demokratie, Meinungsfreiheit, Toleranz und Respekt.

Das, woran es den Piraten am meisten fehlt, sind soziale und kommunikative Kompetenzen. Ich schrieb einmal im Rahmen einer Diskussion:

„Denn um ehrlich zu sein: Wer sozial nicht soweit entwickelt ist, auch mit unangenehmen Mitmenschen umgehen zu können, sollte vielleicht erstmal an sich statt an der großen Politik arbeiten.
Mir fällt es leider unter den Piraten immer mehr auf, daß einige niemals gelernt haben, trotz unterschiedlicher Persönlichkeiten oder Ansichten an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Sowas ist nicht nur für die Parteiarbeit hinderlich, sondern stellt auch im Berufs- und Privatleben einen eklatanten Mangel dar.
Ich weiß ja, daß ein gewisser Grad an EQ schwer zu erreichen ist und soziale Kompetenzen sowie soft skills für manche hier noch böhmische Dörfer sind. Trotzdem drücke ich uns allen ganz dolle fest die Daumen, daß nicht jeden Mittag wieder einer in die Gulaschkanone fällt.“

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, jedoch scheint mir, daß zwar viele über diese Beschreibung lachen konnten, sich jedoch seitdem nicht viel getan hat.

Und dies ist genau der Punkt, der die von uns so dringend benötigten Fachleute abschreckt, sowie auch jene, die eher nicht ins typische Bild eines Piraten passen.

Eine weiterer Problemherd: die Organisation und Struktur oder eher die Abwesenheit derselben. Bisher scheiterte jeder innerparteiliche Versuch des Durchgreifens am Widerstand jener, die Ordnung als eine verzichtbare Läßlichkeit sehen und daher für „unpiratig“ halten (wie im Übrigen alles, was irgendwie ordentlich ist, scheinbar unpiratig ist und daher gern niedergebrüllt wird).

Nur führt das Nicht-Vorhandensein von Ordnung leider dazu, daß X nicht weiß, was Y tut, bindet Ressourcen, kostet Geld, Zeit und Nerven.

Daß jeder machen kann, was er will, ist kein Zeichen von Freiheit, sondern bestenfalls von blanker Ahnungslosigkeit, schlimmstenfalls jedoch von Sadismus.

Es gibt nämlich keine besseren Weg, die Piraten möglichst klein zu halten als den, der im Moment eingeschlagen wurde.

Gefällt Dir nicht, was wir tun? – Übe bloß keine Kritik. sondern mach’s einfach besser und wenn Du das nicht kannst, hast Du kein Recht auf Kritik und hältst bitte einfach den Mund!

Hast Du ein Problem mit jemandem in der Partei? – Setz Dich bloß nicht trotzdem für die Parteiziele ein, sondern bleibe allen Wahlen fern, warte aber gleichzeitig darauf, daß die von Dir ungeliebte Person endlich der Partei den Rücken kehrt!

Stört dich die Arbeit einer AG? – Dann bringe akzeptiere bitte keinesfalls, daß Deine Argumente offenbar zu schwach für die Mehrheit waren und das demokratische Prinzip herrscht, sondern geh einfach und gründe die drölfzigste AG zum selben Thema, damit Du nachher eigene Programmanträge entwickeln und Dich total im Recht fühlen kannst!

Mit diesem System hat die Piratenpartei bisher erfolgreich ihre Tausenden von Mitglieder davon abgehalten, aktiv und vor allem langfristig an und in der Partei zu wirken.

Die Aktivisten der Piraten sind vor allem nämlich eines: kurzlebig, zumeist unprofessionell, fachfremd, oftmals lernunwillig aber gottseidank als Ausgleich zu allem immer von sich selbst überzeugt.

Die grenzenlose Selbstüberschätzung führt auch dazu, daß so etwas wie Marketing, eine Corporate Identity oder ähnliches natürlich völlig überschätzt sind und sich infolge dessen Hinz und Kunz an Pressemitteilungen, Flyern und anderen offiziellen Parteiverlautbarungen versuchen darf. Die Partei gesteht leider keinem Richtlinienkompetenz in diesen oder anderen Fragen zu und krankt damit an ihrer eigenen Offenheit. Auch sie muß begreifen, daß zwar jeder alles machen können darf, leider sich daraus aber nicht ergibt, daß jeder alles kann, was er machen darf.

Und weiter: Das, was die Piraten eigentlich auszeichnen sollte – ihr Verständnis von Technik und die Offenheit und aktive Nutzung internetbasierter Kanäle für ihre Parteiarbeit – steht ihr in Wahrheit ständig im Weg.

Da werden zu jeder Sachfrage detailverliebt Möglichkeiten der Online-Abstimmung erdacht, Konferenzen abwechselnd bei Mumble oder per Telefon abgehalten, einer fragt noch zwischen, ob er gleich die Piraten-Wiki-Seite ändern soll…

Nicht zuletzt scheitert die Partei auch auf den Gebieten, welche eigentlich ihr ureigenstes Thema sind: Datenschutz und Transparenz.

Weder gibt es auf Bundesebene einen ordentlich ernannten Datenschutzbeauftragten noch wird beispielsweise transparent herausgestellt, welcher Parteifunktionär gleichzeitig noch geschäftlich mit der Partei verbunden ist. Letzterer Fall ist dann besonders interessant, wenn es um genau jene Daten geht, die besonders schützenswert sind, nämlich die Kommunikation.

Im Dunkeln bleibt auch, welchen Zweck piratennahe Organisationen verfolgen, die im Umfeld der Partei gern und viel gegründet werden und in deren Führungsgremien sich natürlich Parteipersonal wiederfindet. Selbstredend, daß es besonders da zu Überschneidungen kommt.

Wo so viel gegründet und initiiert wird, kommt es natürlich auch zu Reibungsverlusten, so daß nach dem Gießkannenprinzip Ressourcen investiert werden, die viel dringender im Kern der Partei benötigt werden würden. Genau da, wo es mal nicht ganz so wichtig ist, Struktur einzuführen, will die Piratenpartei auf einmal genauso so sein wie die anderen „großen“ Parteien auch: mit Bildungswerken, Stiftungen, Unternehmervereinen und einem ganzen Netzwerk aus Klüngel und Vetternwirtschaft werden undurchsichtige Strukturen geschaffen, von denen die breite Basis nichts mitbekommt.

Und so wird die Piratenpartei an diesem Wochenende Anträge über Antrage verabschieden oder verwerfen, die in ihrer Gesamtheit weder durchdacht noch ausgereift sind (nein, sie widersprechen sich sogar, sind diametral entgegengesetzt, total am Thema vorbei oder schlicht völlig bekloppt), wird sich im Glanz eines neuen Vorstandes sonnen (denn niemand bleibt ja lange populär bei den Piraten, wir erinnern uns), der es auch nicht vermögen wird, ein paar harte aber notwendige Entscheidungen auch gegen die kollektive Blödheit der Masse durchzusetzen und am Schluß wird ein Haufen Undurchführbarkeit zurückbleiben, der bestenfalls in ein paar Jahren wieder in Zustand Null versetzt werden kann. Die Chance jedenfalls, etwas von Grund auf Neues zu bauen, ohne Stückwerk, ohne Flickenteppich, basierend auf Gemeinsamkeit und Kommunikation – die hat die Piratenpartei bis auf weiteres vertan. Und die, gegen die wir eigentlich angetreten sind, brauchten keinerlei Anstrengung, um uns klein zu halten. Das haben wir ganz allein besorgt.

Und wie es auch mit der katholischen Kirche ist:
Ich glaube zwar nicht an unser Bodenpersonal, jedoch an unseren „Piratengott“ und bleibe deshalb aktiv dabei. Denn die Hoffnung, die bleibt ja.

Über

Leipzigerin aus Leidenschaft. Verliebt in die Stadt. Mutter eines Zirkuskaters. Kennt die beste Eisdiele der Stadt.